"Do you know why we keep going?
Because what the hell else are we gonna do?" (aus Days Gone)
Bild: https://www.peakpx.com/en/search?q=days+gone
Hier finden sich einige meiner eigenen Konzepte, die über meine Artikel und Bücher hin verstreut sind. Da der akademische Betrieb, wie schon Schopenhauer maßgeblich bemerkte, vornehmlich durch die „Taktik des Ignorierens und Sekretierens“ gekennzeichnet ist, muss man beizeiten einen eigenen Markt eröffnen, um seine geistigen Früchte anzubieten :-)
KONZEPT-GLOSSAR
Das institutionelle Sprungtuchmodell des Charaktererwerbs (ISC)
Das ISC als Konzept ist selbst eine Synthese aus verschiedenen Konzeptbausteinen. Ausgegangen wird auf Basis der Massiven Modularität
davon, dass Menschen mit einer reichen mentalen Struktur geboren werden, die von Individuum zu Individuum ein differentes Stärke-Schwäche-Profil impliziert. Dieses Profil kann als intermodular
bedingte Bias, hier als Charakter und sein "Ruf" (in Bezug auf James Hillman) gedeutet werden. Dieser bleibt aber bloße Potenz, wenn er nicht lebenspraktisch mit passendem Input gesättigt wird -
oder wie Schopenhauer betonte "Wer alles sein will, kann
nichts sein" (Metaphysik der Sitten). Hier wird auf Schopenhauers Konzept des erworbenen Charakters rekurriert, in dem genau dies stark gemacht wird, nämlich die Erprobung und
Realisierung des Charakters in der Welt. Für diesen Erwerb des Charakters sind Institutionen notwendig, die als sprachlich konstituiert gedacht werden (vgl. Searle). Je nach Grad der
Sprechhandlungsbewusstheit (siehe unten) können in einer Gesellschaft bzw. Umfeld spezifische Partizipationssphären (nicht) erreicht werden. Kenntnis des eigenen Charakters korreliert so mit dem
Grad, in dem Institutionen Teilhabe bis zur eigenen Infragestellung garantieren (vgl. auch Schelskys institutionalisierte Dauerreflexion).
Quelle:
Ausführlich:
Dümig, S. (2022): Das Institutionelle Sprungtuchmodell des Charaktererwerbs (ISC) - Eine Anthropologie des Dreiklangs aus
Evolutionspsychologie, Sprechakttheorie und Partizipationssphären. https://nbn-resolving.org/urn:
Kürzer und nicht so umfassend argumentiert:
Dümig, S. (2021): (Sprachlicher) Nativismus als pädagogische Perspektive: Das institutionelle Sprungtuchmodell des Charaktererwerbs. In: M.R. Textor & A. Bostelmann (Hrsg.) Das Kita-Handbuch (online)., 3. Teil der dreiteiligen Artikelreihe Soziale Wirklichkeit und Spracherwerb. LINK
Emulation/Emulieren
Aus der Computertechnik entlehnt. Bildet den inhaltlich gefüllten Gegenbegriff von Partizipation/Partizipieren. Bezeichnet einen inhaltsleeren Nachahmungsprozess, eine rein kognitive Systemnachbildung. Kinder simulieren Verantwortung in Teilhabe ausschließlich in Bezug auf Erwartungen von Erwachsenen.
Quelle:
Dümig, S. (2021): Das Konzept der Partizipationssphären und seine Berücksichtigung in der Projektmethode. In: M.R. Textor & A.
Bostelmann (Hrsg.) Das Kita-Handbuch (online). LINK
Mitverstehen / Symverstehen
Bildet das sprachliche Analogon zur Feinfühligkeit der Bindungstheorie. Es stellt den intensiven Nachvollzug sprachlicher Geltungsansprüche (nach Habermas) dar und muss von affektiven Hinwendungen streng getrennt werden. Ziel ist das gemeinsame Verstehen durch Abstimmung gegenseitiger, sprachlicher Geltungsansprüche und eben nicht die affektive Synchronisation.
Quelle:
Dümig, S. (2021): Sprachliche Eingewöhnung - Fremde Situationen mit (Sprach-)System meistern. In: M.R. Textor & A. Bostelmann (Hrsg.) Das Kita-Handbuch (online)., 2. Teil der dreiteiligen Artikelreihe Soziale Wirklichkeit und Spracherwerb. LINK
Partizipationssphären
Eine Partizipationssphäre stellt den Erfahrungsraum für mögliche und konkrete Teilhabe dar. Teilhabe bedeutet aber immer Anderes als Grenze zu erfahren. Hier ist der
Begriff der Propriozeption wesentlich. Wir erfahren uns innerhalb einer Partizipationssphäre immer an einem Anderen selbst mit und dies eröffnet neue Partizipationssphären. Werden diese
Erfahrungen verunmöglicht, kann die Partizipationssphärenentwicklung stark von der Entwicklung in anderen Domänen abweichen (s. Emulation/Emulieren). Ich unterscheide vorerst fünf
Partizipationssphären, die bei gelungener Entwicklung immer die vorherigen implizieren.
Quelle:
Grundlegend:
Dümig, S. (2021): Das Konzept der Partizipationssphären und seine Berücksichtigung in der Projektmethode. In: M.R. Textor & A.
Bostelmann (Hrsg.) Das Kita-Handbuch (online). LINK
Neue Aspekte:
Dümig, S. (2022): Das Institutionelle Sprungtuchmodell des Charaktererwerbs (ISC) - Eine Anthropologie des Dreiklangs aus
Evolutionspsychologie, Sprechakttheorie und Partizipationssphären. https://nbn-resolving.org/urn:
Protowortdefinition
Protowörter wurden bisher nicht hinreichend definiert, d.h. meist sind die Definitionen viel zu allgemein gehalten und ohne Zugrundelegung linguistischer Kriterien. Insofern ist meine Definition (und die vorangehende Untersuchung) der allererste Versuch in der Spracherwerbsforschung überhaupt, Protowörter wissenschaftlich eng und linguistisch fundiert zu erfassen:
„Protowörter im frühen Spracherwerb sind über einen kurzen Zeitraum kontinuierlich produzierte Formen, deren wesentliches Charakteristikum ist, dass eine overte (phonetische) Ähnlichkeit zu Zielwörtern nicht gegeben ist. Sie spiegeln strukturell die konsekutive und systematische Integration von phonologischen Merkmalen in Silbenpositionen wider und bestehen gemäß dem Sonority Dispersion Principle aus nicht-komplexen Demisilben. Bei Auftreten konnen sie durch den Ausbau phonologischer Strukturen spezifische Bootstrapping-Funktionen für Zielwörter ausüben. Protowörter werden im Verlauf des Spracherwerbs durch das Informationskorrelat
[(Motorische Struktur) + Phonologische Struktur ([―silbisch; [Oberklassenmerkmale]) + Bedeutung]
konstituiert, wobei sie semantisch-pragmatisch nicht-intentional verwendet werden.“
Für die ausführliche Definition siehe Quelle:
Dümig, S. (2018): Dreidimensionale Phonologie und der Erwerb von Protowörtern.
http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/docId/47167
Random Generator
Der Random Generator ist eine Annahme von Butterworth (1979), die später von Buckingham (1990) aufgenommen wurde. Da es bei bestimmten
Aphasikern zu zufälligen Produktionen von Silben kommt, ist hier die Frage, woher diese stammen und welche Regularitäten ihnen unterliegen. Da der Weg über das mentale Ziellexikon blockiert ist,
muss es eine Komponente in der sprachlichen Architektur geben, die solche Zufallssilben als Substitute generiert. Diese wurde eben als Random Generator bezeichnet. In Dümig (2018) wird diese Idee
des Random Generators erstmalig systematisch für den frühen Spracherwerb aufgegriffen, da hier analog keine Zielformen gegeben sind, da das Ziellexikon noch keine Einträge enthält. Entsprechend
könnten temporäre Substitute auch hier dieser Komponente zugeordnet werden. Dies mündet in dem Nachweis, dass Protowörtern Regularitäten unterliegen, die auch bei Jargon-Aphasikern aktiv sind. So
findet man im Random Generator eine recht elegante Modellierung, die eine klassische Aphasiologie und Aspekte der Spracherwerbsforschung stringent integriert.
Quelle:
Dümig, S. & Leuninger, H. (2013): Phonologie der Laut- und Gebärdensprache: Linguistische Grundlagen, Erwerb, sprachtherapeutische Perspektiven. Schulz-Kirchner-Verlag, Idstein.
Dümig, S. (2018): Dreidimensionale Phonologie und der Erwerb von Protowörtern.
http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/docId/47167
Schopenhauers Sprachkonzeption: Kognitive Doppelkartierung
Schopenhauer stellt sich die basale Schicht von semantischen Konzepten (reine Begriffe) als eine ad hoc entstehende und unveränderliche Ebene vor, die nur dem Denken zugänglich ist. Sprachliche Repräsentationen werfen analog einem Scheinwerfersystem Licht auf diese basale Ebene und rufen so partiell Inhalte ins (sprachliche) Arbeitsgedächtnis ab. Im Gegensatz zur basalen Ebene reiner Begriffe hängt das semantische Feld sprachlicher Repräsentationen vom Gebrauch ab. Diese Unterscheidung ist zuvor in der Philosophie nicht prägnant erfasst worden und war bisher unter einem Deckmantel (falscher) wittgenstein'scher Interpretationen verdeckt.
Quelle:
Dümig, S. (2020): The World as Will and I-Language: Schopenhauer's Philosophy as Precurser of Cognitive Sciences. In: Jens Lemanski (Ed.). Language, Logic and Mathematics in Schopenhauer. Springer/Birkhäuser, S. 85-94.
Simulatoren
Dieses Konzept erweitert die Idee der Bauplanüberfrachtung von Rosemary Tracy um wesentliche psycholinguistische Dimensionen. Vorhandene Strukturen (jeder sprachlichen Ebene) werden im Arbeitsgedächtnis durch den Prozess der Unifizierung (nach Jackendoff) verbunden und dieses neue Chunk im Kurzzeitgedächtnis etiktettiert abgelegt. So können (durch die Performanz!) sukzessive elaborierte Strukturen erzeugt werden. Zukünftige Zielstrukturen werden so strukturell mit alten Strukturen erst einmal simuliert, wobei sie deshalb oberflächlich nicht zielädaquat und "falsch" erscheinen.
Quelle:
Dümig, S. (2018): Dreidimensionale Phonologie und der Erwerb von Protowörtern.
http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/docId/47167
Splitting-Hypothese
Geht auf den Splitting Prozess von John A. Goldsmith zurück. Sie besagt nach meiner Formulierung in der Phonologie:
„Das Merkmal [silbisch], die Oberklassenmerkmale und die jeweils spezifischen Artikulationsort- und Artikulationsartmerkmale einer segmentalen Menge werden zeitlich konsekutiv in drei Stufen an definierte X-Positionen assoziiert.“
Die Splitting-Hypthose unterliegt wesentlich der Erklärung der Protowortproduktion (s. Protwortdefinition), da mit seiner Hilfe der Merkmalsausbau in zeitlichen Schalen modelliert werden kann (s. Schalenmodell des phonologischen Merkmalausbaus in Dümig 2018).
Quelle:
Dümig, S. (2018): Dreidimensionale Phonologie und der Erwerb von Protowörtern.
http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/docId/47167
Sprachliche Eingewöhung
Wichtige konzeptuelle Ergänzung zu bindungsorientierten Eingewöhnungen. In Rekurs auf Habermas werden sprachlich ermöglichte Geltungsbedürfnisse identifiziert, deren Wahrnehmung und Befriedigung für eine gelingende Eingewöhnung wesentlich sind.
Dümig, S. (2021): Sprachliche Eingewöhnung - Fremde Situationen mit (Sprach-)System meistern. In: M.R. Textor & A. Bostelmann (Hrsg.) Das Kita-Handbuch (online)., 2. Teil der dreiteiligen Artikelreihe Soziale Wirklichkeit und Spracherwerb. LINK
Sprachliches Regelerwerbs-Unterstützungssystem (SPRUSY)
Durch Konjunktivkonstruktionen wird ein sprachlicher Rahmen gesetzt, der Fiktionsspiele ermöglicht. Hierdurch üben Kinder konstitutive Regeln ein und mit ihnen,
Veränderung und Verbindlichkeit von diesen (s. Sprechhandlungsbewusstheit). Sprache ist hier Spiel vorgeschaltet, was das Konzept von Bruner eines Spracherwerbs-Unterstützungssystems (engl.:
language acquistion support system, kurz LASS) auf den Kopf stellt. Mithilfe des SPRUSY steigen die Kinder in den Gebrauch von Deklarativa und somit in institutionelles Verständnis
ein.
Quelle:
Dümig, S. (2021): Meine, deine, unsere Kita - Deklarative Sprechakte, Projektmethode und der Erwerb von Institutionenverständnis. In: M.R. Textor & A. Bostelmann (Hrsg.) Das Kita-Handbuch (online)., 1. Teil der dreiteiligen Artikelreihe Soziale Wirklichkeit und Spracherwerb. LINK
Sprachtherapeutische Prinzipien für frühe phonologische Störungen
Drei sprachtherapeutische Leitprinzipien wurden in Dümig & Leuniger (2013) formuliert. Diese wurden abgekürzt als MIPS, MAPKO und MAFMEK bezeichnet:
Minimalisiere die phonologische Struktur auf den therapierelevanten Ebenen (MIPS): Verwende ein minimales Silbenskelett (CVC) bei der Arbeit am Ausbau der Merkmalsstruktur!
Maximiere die phonologischen Kontraste auf der therapierelevanten Ebene (MAPKO):
Verwende als Input eine breite Palette an möglichen Strukturen, um das Sprachsystem für wort- und silbeninterne Kontraste zu sensibilisieren!
Maximiere Fokus auf Form durch Minimierung von erwachsenensprachlichem Kontext (MAFMEK): Verwende nur einzelne Wörter und Nicht-Wörter und zwar in einem spielerischem Kontext, um die phonologische Form zu fokussieren und Störungsbewusstsein nicht zu verstärken!
Quelle:
Dümig, S. & Leuninger, H. (2013): Phonologie der Laut- und Gebärdensprache: Linguistische Grundlagen, Erwerb, sprachtherapeutische Perspektiven. Schulz-Kirchner-Verlag, Idstein.
Sprechhandlungsbewusstheit
Ein Zustand, in dem die Doppelnatur von Deklarativa eingesehen wird: Sie können objektive Verbindlichkeiten erzeugen, diese Erzeugung bleibt aber immer hinterfragbar, weil sie von Sprechern vorgenommen wird. Institutionelle Regeln werden durch diesen Zustand transparent.
Quelle:
Dümig, S. (2021): Meine, deine, unsere Kita - Deklarative Sprechakte, Projektmethode und der Erwerb von Institutionenverständnis. In: M.R. Textor & A. Bostelmann (Hrsg.) Das Kita-Handbuch (online)., 1. Teil der dreiteiligen Artikelreihe Soziale Wirklichkeit und Spracherwerb. LINK
Wissenschaftlicher Individualismus
Begriff, der die
Realisierungsebene von Wissen fokussiert. Wissenschaftliche Theorien werden durch das konzeptionelle Vermögen des Menschen gebildet - dies in Rückbezug auf reale, sinnliche Data. Im Gegensatz zu
Institutionen, die nur generierte Konzepte speichern, hat das Individuum in Bezug auf die reale Welt Gewissen. Letzteres meint, auch etymologisch, es existiert ein Mitwissen, ein Gewusstwerden
von Wissen. Aus diesem Grund bildet der wissenschaftliche Individualismus einerseits die Grundlage für eine extra-institutionelle Wissenschaft, verbindet aber auch unter einer
wissenschaftsethischen Perspektive konsequent die Freiheit mit der Verantwortung von Forschung. Ein wissenschaftlicher Institutionalismus kann eine solche Verbindung nicht notwendig
garantieren.